Ein Leben mit der Tracht - Ottilie Appel (1920-2007)

Die Kleidung spielt eine wichtige Rolle bei der Bewertung und Einschätzung von Personen. Ihre Sprache und Zeichenhaftigkeit beschäftigt die Volkskunde. Von Interesse ist hier weniger die beliebige, kurzlebige Gebrauchsware, sondern Objekte, die im Leben der Menschen eine Bedeutung hatten. Dazu gehören auch die Trachten von Ottilie Appel (1920-2007). Sie hat ihre Gewänder zeitlebens geschätzt, gepflegt, getragen und nie etwas in die Altkleidersammlung gegeben. So hat sie auf dem Ulerhof in Neukirchen bei Thierhaupten einen umfangreichen Fundus an Gewändern gesammelt, der ein einzigartiges Zeugnis für die ländliche Kleidungskultur im 20. Jahrhundert darstellt. Der Förderverein Gempfinger Pfarrhof e.V. hat den gesamten Nachlass als Schenkung erhalten und zeigt nun in einer kleinen Ausstellung die interessantesten und wertvollsten Stücke.

 

Der Umfang des Kleiderbestandes von Frau Appel ist in der Tat enorm: Er umfasst ungefähr 100 Kleider von der Festtagstracht bis hin zum Werktagsgewand. Dazu kommen noch an die 200 Schürzen sowie eine ansehnliche Menge an Schulter- und Kopftüchern. Die vom Förderverein angeschafften fünfzig Archivschachteln reichen gerade aus für die dauerhafte Aufbewahrung.

 

Ottilie Appel bekam ihre Festtagstrachten mit 16 Jahren, nachdem sie die Feiertagsschule (heutige Berufsschule) beendet hatte. Aus diesem Anlass ließ sie sich die Kleider nähen, die sie dann ein Leben lang trug. Das war so Brauch. Die Näharbeiten wurden von der Störnäherin, Viktoria Pröll (Boisnnari), ausgeführt. Sie war eine umherziehende Schneiderin, die von Ausbesserungs- und Flickarbeiten über das Fertigen von Kleidern, Hemden, Schürzen, Hosen, Handschuhen, Vorhängen, Bettwäsche, Kinderkleidung und Haus-haltswäsche praktisch alles beherrschte. Obendrein war sie eine wichtige Überbringerin von Neuigkeiten, ging sie doch immer von einem Bauernhof zum anderen und hatte bestimmt viel Interessantes zu erzählen.

 

Die Festtagstrachten sind also schon 77 Jahre alt. Dass sie so lange überdauerten, lag an ihrer pfleglichen Behandlung. Diese Kleider wurden ausschließlich zum Kirchgang getragen und zuhause sofort abgelegt. Sie wurden auch nie gewaschen, sondern nur gelüftet. Nicht weniger dürfte es verwundern, dass diese Gewänder ein Leben lang passten. Dafür sorgten zwei praktische Abnäher, die das Oberteil auf Körperform brachten und bei Bedarf aufgetrennt werden konnten.

 

Wer sich mit Trachten beschäftigt, weiß, dass die Trachtenträgerinnen die Funktion ihrer Gewänder genau festgelegt hatten. An den Hochfesten (Weihnachten, Ostern, Pfingsten, Fronleichnam, Kirchweih) und am Patrozinium trug die Bäuerin zum vormittäglichen Amt das schönste Kleid, das Schea. Als Stoff für Jacke und Rock wählte Ottilie Appel einen wertvollen dunkelgrünen Moiré mit einem eingewebten Rosenmuster. Dazu gehörte eine graubraune Moiréschürze. Ihr festliches Gepräge erhielt das Kleid durch die Zierknöpfe. Sie

sind in Filigran gearbeitet und stellen auch heute noch begehrte Sammlerobjekte dar. Um den Hals trug Ottilie Appel ein weißes Schultertuch mit langen, viergängig angeknüpften Fransen. Es wurde vorne zu einem Knoten geschlungen, der durch eine Brosche zusammengehalten wird.

 

Ottilie Appel konnte sich ein Leben ohne ihre Tracht, dem boarischen Gwand, nicht vorstellen. Die Kleidung gehörte fest zu ihrem Lebens- und Jahreslauf und prägte die kirchlichen Hochfeste, aber auch Sonn- und Werktage. Die Ulerin trug diese Gewänder zuhause genauso wie auf Reisen. Das waren ausschließlich Pilgerfahrten, die sie zu den Wallfahrtsorten der näheren und weiteren Umgebung bis nach Rom, Assisi, Fatima und Lourdes führten. Gerne und auch ein wenig stolz erzählte sie, dass sie dort mit ihrer Kleidung immer ein begehrtes Fotomotiv darstellte. Am Ende ihres Lebens ist Ottilie Appel selbst in Neukirchen als eine der letzten Trachtenträgerinnen aufgefallen. Denn die überlieferte Kleidung mit Spenzer, Schürze, Schultertuch und Filigranknöpfen war seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunehmend aus dem Ortsbild verschwunden. Als einer der letzten, die diese Kleider noch trug, wurden Ottilie Appel viele Gewänder von verstorbenen Trachtenträgerinnen überlassen. Denn deren Nachkommen wussten diese Kleider bei ihr in guten Händen.

 

In Gempfing ist man nun dabei, den Nachlass zu inventarisieren. Das ist kein leichtes Unterfangen: Die großen Kleidergruppen – wie z.B. Arbeitskleider und Sonntagsgewänder –

voneinander zu unterscheiden, ist kein Problem. Sehr schwierig ist es jedoch, innerhalb der einzelnen Bereiche eine Kleiderhierarchie zu bestimmen. Denn neben der Qualität der Stoffe und der Filigranknöpfe spielte vor allem der persönliche Geschmack eine große Rolle. Eine wichtige Gewährsperson ist hier Maria Degmayr, die in Gempfing lebende Toch- ter von Ottilie Appel. Sie kennt die Gewänder ihrer Mutter sicher am besten und gibt bei der Inventarisierung des Bestandes wichtige Informationen. So weiß sie, dass ihre Mutter mit fortschreitendem Alter die allzu bunten Sonntagsschürzen ausgemustert hatte, weil sie diese Farbigkeit nicht mehr für angemessen hielt.

 

Ein kleiner Teil des Nachlasses soll künftig als Dauerausstellung im Gempfinger Pfarrhof zu sehen sein. Der größere Teil wird künftig jedoch im Depot archiviert bleiben. Die Ausstellung ist am 16. und am 23. Juni jeweils von 11 bis 17 Uhr zu sehen.