Beten mit den Händen

Klosterarbeiten von Martha Sailer

Öffnungszeiten: 18. Juli, 25. Juli, 1. August 2021 von 14 bis 17 Uhr

Eintritt frei

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Martha Sailer (1940-2008)

Mit einer neuen Ausstellung öffnet der Gempfinger Pfarrhof wieder seine Tore. Sie ist Martha Sailer (1940–2008) gewidmet, einer Meisterin auf dem Gebiet der Klosterarbeiten. Ihr Werk umfasst Fatschenkinder, Jesuskindfiguren, Reliquientafeln, Ostensorien, Altarpyramiden, Altarsträuße, Wettersegen u.v.m., Man bezeichnet diese Erzeugnisse als Klosterarbeiten, da sie ursprünglich in den Frauenklöstern hergestellt wurden, wo sie im 17. und 18. Jahrhundert ihre Blütezeit erlebten. 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das wundertätige Jesuskind von Holzen. Die Krone hat Martha Sailer 1993 restauriert.

Bei den Klosterarbeiten macht nicht das Material den Wert, sondern der enorme Zeitaufwand. In den Klöstern waren diese frommen Zeugnisse immer auch Werke der Kontemplation und persönlichen Andacht. Im Mittelpunkt der Verehrung stand dabei meist eine Jesuskindfigur, die die Novizin beim Eintritt in das Kloster erhielt und einkleidete. In den meisten Fällen war sie ein Geschenk der Verwandten und sollte den Abschied von Eltern und Geschwistern erleichtern. Deshalb wurde die Figur auch „Trösterlein“ genannt. Die Schwestern platzierten die Jesuskindfiguren in ihren Klosterzellen auf die Habitkommode: In manchen Klöstern wurden sie auch zur öffentlichen Verehrung ausgestellt, wie z.B. in Kloster Holzen. Dort wurde das Jesuskind zum Mittelpunkt einer blühenden Wallfahrt. Im Jahre 1993 wurde Martha Sailer das restaurierungsbedürftige Krönlein des Gnadenbildes anvertraut, das nur mehr als Drahtverhau überlebt hatte. Martha Sailer war damals bereits eine anerkannte Künstlerin, die auf zahlreichen Kursen in Süddeutschland und Österreich ihr Wissen weitergegeben hatte. Solche Renovierungsarbeiten liebte sie, denn sie gaben ihr die Möglichkeit, beim Umgang mit den Objekten manche Geheimnisse einer fast vergessenen Klosterkultur zu entdecken. 

 

Zum Kloster Holzen hatte sie stets eine besondere Beziehung. Unweit davon ist sie in dem kleinen Ort Lauterbach 1940 geboren und aufgewachsen. Dort heiratete sie 1963 den Landwirt, Dichter und Heimatpfleger Alois Sailer, der sich heute liebevoll um das Erbe seiner 2008 verstorbenen Ehefrau kümmert. Er hatte auch die mühevollen Anfänge begleitet. Wichtige Anregungen erhielt sie damals von Schwester Berchmana aus dem Dominikanerinnenkloster Wettenhausen. Es war eines der letzten Klöster, in dem diese Kunst bis in das ausgehende 20. Jahrhundert hinübergerettet wurde. Die Werkzeuge für die Herstellung von Klosterarbeiten waren verhältnismäßig leicht zu besorgen. Martha Sailer genügten Zange, Pinzette, Skalpell, ein kleiner Schmiedeamboss, eine dunkle Samtdecke sowie Steck- und Nähnadeln. Wesentlich schwieriger war die Beschaffung des Materials: Drähte, Bouillon, Lahn, Pailletten, Perlen, Glimmer, Brokat, Wachsköpfe, Bilder und Rahmen. Alois Sailer erinnert sich noch an die Zeiten, als sich seine Frau für die Fassungen der Glassteine mit Kronkorken behelfen musste.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ostensorium

Mit besonderer Hingabe widmete sich Martha Sailer den Ostensorien. Das sind monstranzartig gestaltete Schaugefäße mit einem kleinen zentralen Fenster zur Aufnahme einer Reliquie. Entleerte Ostensorien waren auf den Flohmärkten erhältlich. Martha Sailer hat sie neu befüllt. Alois Sailer erinnert sich an eine Bemerkung seiner Frau, die zeigt, mit welcher Ernsthaftigkeit sie ihre Arbeiten ausführte: „Lieber fülle ich eine große Reliquientafel als den Raum von der Größe eines Zwei-Euro-Stückes, denn in so einem Ostensorium muss alles, was in der großen Tafel als Klosterarbeit drin ist, in einer verdichteten Form drinnen sein.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wettersegen von Martha Sailer

Eine Religion „zum Anfassen“ boten auch die Wettersegen, die Martha Sailer ganz in der überlieferten Tradition herstellte. Bei dieser Devotionalie handelt es sich um ein kreisrundes Schaustück, das man seit dem 18. Jahrhundert in den Bauernstuben zur Abwehr vor Unwettern und Katastrophen aufhängte. Es enthält ein Konvolut kirchlich gesegneter Schutzzeichen, wie. z.B. Wallfahrtsandenken, geweihte Kräuter oder Weihrauchkörner. Auch Korallenzweige durften nicht fehlen, sie sollten die Kinder gegen den bösen Blick schützen. Man sieht, dass die Volksfrömmigkeit in vielen Bereichen die Grenzen zum Aberglauben überschritt. Diese Gegenstände waren um ein zentrales ovales Wachsmedaillon mit einem aufgeprägten „Lamm Gottes“ (Agnus Dei) angeordnet. Ihre Herstellung war ursprünglich ein Privileg des Papstes, der sie im Jahr seines Regierungsantritts und danach alle sieben Jahre weihte. Gegossen wurden sie aus dem Osterkerzenwachs der römischen Hauptkirchen. Durch die Beimengung von Katakombenstaub erhielten sie eine graue Farbe und unterschieden sich von den später in Klöstern hergestellten Agnus Dei. Aufgrund der begrenzten Anzahl waren die römischen Devotionalien natürlich wesentlich begehrter. Martha Sailer war stolz, dass sie ein Wachsmedaillon von Papst Paul VI. für eine ihrer Krüllarbeiten verwenden konnte. 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Krüllarbeit mit einem Agnus Dei von Papst Paul VI.

Kritisch betrachtete Martha Sailer vieles, was um sie herum an neuen Klosterarbeiten geschaffen wurde. Oft bemängelte sie ein fehlendes Gespür für die richtigen Proportionen und den passenden Rahmen. Gerne gab sie ihr Wissen und Können an interessierte Personen weiter. Am liebsten tat sie das bei sich zuhause. Vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege wurde ihr die Gutachtertätigkeit für den Bereich Klosterarbeiten angeboten. Doch ihre fortschreitende Krankheit machte diese Pläne zunichte. Martha Sailer starb am 11. September 2008.

                                   

 

Erich Hofgärtner